ES_Stada_website.jpg
@Envato Elements PTT Ltd/blet-Blister/Papier-Box Mockup von Wutip

Was STADA mit der Postbank zu tun hat

Spektakuläres BGH-Urteil

STADA – die Standesgemeinschaft Deutscher Apotheker, in der sich 1895 deutsche Apotheker zusammenschlossen, um gemeinsam Medizinpräparate herzustellen, wurde hierzulande zu einem der größten und damit auch begehrtesten Generika-Hersteller. Nach einer wahren Übernahmeschlacht im Jahre 2017 wurde das Unternehmen 2020 schließlich vom Markt genommen. Doch nun sorgt ein BGH-Urteil nochmals für Aufsehen. 

STADA ist neben Teva Pharmaceutical Industries Ltd. (Ratiopharm) und Novartis (Hexal) mit einem Jahresumsatz von 3 Mrd. Euro (2020) einer der größten Generika-Hersteller in Deutschland. Produkte wie Tilidin, Atorvastatin, Pantoprazol oder Grippostad werden in 130 Ländern vertrieben, wobei die Biosimilars (qualitativ gleichwertige Nachahmerprodukte eines patentfreien Biopharmazeutikums) immer mehr zum Renner werden.

Am 12. Februar 2017 bestätigte STADA erstmals Gerüchte am Markt, dass Investoren Interesse an einer Übernahme der Gesellschaft hätten. Als Preis wurden 56,00 Euro pro Aktie und als Interessenten Cinven Partners LLP und Advent International Corporation genannt. Nachdem sich noch ein weiterer Interessent dazugesellte, startete STADA einen strukturierten Bieterprozess. Am 10. April 2017 gab STADA bekannt, dass ein Bieterkonsortium ein freiwilliges Übernahmeangebot zum Preis von 66,00 Euro je Aktie unterbreitet hätte (65,28 Euro Barabfindung plus 0,72 Euro Dividende). Die Hürde: Es gab eine Mindestannahmeschwelle von 75 %. Obwohl diese auf 67,5 % abgesenkt wurde, platzte die Übernahme zunächst, weil zu wenige Aktionäre das Angebot annahmen. Der Preis war einfach zu niedrig.

Am 19. Juli 2017 veröffentlichten die Interessenten ein weiteres Übernahmeangebot, bei dem sie den Gegenwert je Aktie um 0,25 Euro erhöhten und die Mindestannahmeschwelle gleichzeitig auf 63 % absenkten. Mit 63,85 % kam der Deal knapp zustande, aber es fehlte die Dreiviertelmehrheit, die für den Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags (BGAV) notwendig ist. Der ebenfalls beteiligte US‑Hedgefonds Elliott war mit seinem Aktienpaket von 13 % der Schlüssel zum Erreichen dieser wichtigen Dreiviertelmehrheit. Bedingung von Elliott: eine Barabfindung in Höhe von mindestens 74,40 Euro je Aktie.

Am 2. Februar 2018 schließlich stimmte die außerordentliche Hauptversammlung dem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag zwischen dem Verwaltungsvehikel der Investoren, Nidda Healthcare GmbH, und der STADA Arzneimittel AG zu. Der Vertrag sah nun tatsächlich einen jährlichen Ausgleich in Höhe von 3,82 Euro brutto – entspricht 3,53 Euro netto – je Aktie bzw. alternativ eine Barabfindung von 74,40 Euro je Aktie vor. Die Aktionäre aber, die vorher schon das freiwillige öffentliche Übernahmeangebot angenommen hatten, waren außen vor. Sie waren mit 66,25 Euro abgespeist worden und sollten auch keine Nachbesserung erhalten.

Was hat STADA mit der Postbank zu tun?

Was dem Anleger sofort als offensichtliche Ungleichbehandlung von Aktionären aufstößt, war lange Zeit rechtlich jedoch nicht durchsetzbar – bis zu dem von der Effecten-Spiegel AG erstrittenem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 29. Juli 2014 in dem Revisionsverfahren zur Übernahme der Deutschen Postbank AG durch die Deutsche Bank AG.

 

„Selbst ein rechtskundiger Dritter konnte vor Veröffentlichung des BGH-Postbank-Urteils kaum verlässlich beurteilen, ob die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen eines ergänzenden Zahlungsanspruchs gemäß § 31 Abs. 1. S. 1 WpÜG erfüllt sind.“ (LG Köln, 20.10.2017, 82 O 11/15, Rn. 236)

 

Bis zu diesem BGH-Postbank-Urteil hatten Aktionäre im Rahmen eines freiwilligen Übernahmeangebots oder eines Pflichtangebots nämlich überhaupt keinen zivilrechtlich durchsetzbaren Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Gegenleistung – selbst wenn es eine deutliche Diskrepanz zwischen dem angebotenen und dem tatsächlich angemessenen Preis gab. Erst die Klage der Effecten-Spiegel AG gegen die Deutsche Bank ebnete im Revisionsverfahren  den Weg für alle Minderheitsaktionäre, den Rechtsweg zu beschreiten.

„Ist die vom Bieter im Rahmen eines Übernahmeangebots nach § 29 Abs. 1 WpÜG vorgesehene Gegenleistung nicht angemessen im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 1 WpÜG, so haben die Aktionäre, die das Übernahmeangebot angenommen haben, einen Anspruch gegen den Bieter auf Zahlung der angemessenen Gegenleistung.“ (BGH-Urteil vom 29.07.2014 Effecten-Spiegel AG ./. Dt. Bank, II ZR 353/12, Leitsatz 1)

 

Die Effecten-Spiegel AG hat mit dieser BGH-Entscheidung Rechtsgeschichte geschrieben. Von diesem Recht haben nun zwei Kläger bei der STADA-Übernahme Gebrauch gemacht und auf Zahlung des Unterschiedsbetrags zwischen 66,25 Euro und den an Elliott zugesagten 74,40 Euro geklagt. Allerdings war hier die Sache noch etwas anders gelagert, denn die beiden Partner (Bieter und Paketaktionär) hatten sich etwas Neues ausgedacht: Sie schlossen am 30. August 2017 ein sog. Irrevocable Commitment (IC). Mit dieser Vereinbarung übernahm Elliott zahlreiche Verpflichtungen für die Hauptversammlung, sofern die festgelegte Abfindung mindestens 74,40 Euro pro Aktie betragen würde. Dazu gehörten z.B., auf der Hauptversammlung anwesend zu sein, die Aktien zu vertreten und mit den gehaltenen STADA-Aktien für den Abschluss des BGAV zu stimmen, keine Fragen zu stellen und keinen Widerspruch zu erheben sowie kein Spruchverfahren einzuleiten und keine Sonderprüfung zu unterstützen.

Nachdem sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht Frankfurt die Klage auf Nachbesserung abgewiesen hatten, gab der BGH den Klägern mit seinem Urteil vom
23. Mai 2023 Recht:

„Nach der Rechtsprechung des Senats beruht der Anspruch auf die angemessene Gegenleistung aus § 31 Abs. 1 Satz 1 WpÜG auf der Annahme des Übernahmeangebots und stellt daher einen auf Erfüllung gerichteten vertraglichen Anspruch dar.“ (BGH-Urteil vom 23.05.2023, II ZR 219/21, Seite 28, Rn. 58)

 

Nach Ansicht der Karlsruher Richter ist das IC zwischen der übernehmenden Gesellschaft und Elliott also eine Vereinbarung, die einem Nacherwerb von Aktien nach § 31 Abs. 5, 6 WpÜG gleichstehe. Anderenfalls sei es eine Umgehung. Demnach besteht ein Anspruch auf die Differenz zwischen dem Angebotspreis und dem Preis des IC. Und der Bieter ist den Ex-Aktionären, die vorher das Angebot angenommen hatten, zur Zahlung des Unterschiedsbetrags verpflichtet.

Daher wurde die Nidda Healthcare Holding GmbH als damalige Bieterin des Übernahmeangebots verurteilt, der Klägerin je angediente STADA-Aktie weitere 8,15 Euro (den Differenzbetrag) plus Zinsen zu zahlen. Zur Begründung bezieht sich der BGH u.a. auf das vom ES im Postbank-Verfahren erreichte zweite Urteil vom Dezember 2022, in dem der BGH aber u.a. auch entschieden hatte, dass ein Nachzahlungsanspruch drei Jahre nach Bekanntwerden des Nachzahlungsgrundes verjährt.

Das sollte nach Ansicht des Effecten-Spiegel auch für die ehemaligen STADA-Aktionäre gelten, denn bis zur Veröffentlichung der BGH-Entscheidung war der Öffentlichkeit der Inhalt des Commitment mit Elliott nicht oder nur in Umrissen aufgrund der DGAP News der STADA von Anfang September 2017 bekannt. Und es war auch höchstrichterlich nicht geklärt, ob eine solche, im Anschluss an ein Übernahmeangebot geschlossene Vereinbarung zwischen dem Bieter und einem Paketaktionär zur Höhe der Abfindung zu einem geplanten Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag auch zu einer nachträglichen Erhöhung des Angebotspreises führt. Und dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass in der Vereinbarung kein Erwerbsrecht des Bieters enthalten war und man so versucht hatte, einen Aktienerwerb im Rahmen der gesetzlichen Abfindung darzustellen.

„Der geltend gemachte Anspruch unterliegt der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren nach §§ 195, 199 BGB. Eine Klageerhebung war den betreffenden Klägerinnen und Klägern allerdings wegen der rechtlichen Unsicherheiten über das Bestehen eines Anspruchs jedenfalls vor dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 29. Juli 2014 ... nicht zumutbar“ (BGH-Urteile vom 13.12.2022 – II ZR 9/21 u. II ZR 14/21, Effecten-Spiegel AG ./. Dt. Bank)

 

Erst mit der Veröffentlichung der BGH-Entscheidung am 12. Juli 2023 auf der Website des Bundesgerichtshofs wurden alle Umstände und Begründungen für einen solchen Nachbesserungsanspruch bekannt. Demnach sollte jeder damalige STADA-Aktionär, der das freiwillige Übernahmeangebot 2017 für 66,25 Euro je Aktie angenommen hatte, prüfen, ob er jetzt ebenfalls bei der Nidda Healthcare Holding GmbH einen Nachzahlungsanspruch in Höhe von 8,15 Euro einfordern kann. Legt man das zweite BGH-Urteil im ES-Postbank-Verfahren zugrunde, sollte dafür eine Verjährungsfrist von drei Jahren gelten, beginnend mit dem 12. Juli 2023.

Das jüngste BGH-Urteil zur STADA-Übernahme dürfte es zukünftig unmöglich machen, dass sich aktivistische Aktionäre aufgrund ihrer großen Aktienpakete wichtige Zustimmungszusagen zu notwendigen Hauptversammlungsbeschlüssen abkaufen lassen. Durch den rechtlich durchsetzbaren Gleichbehandlungsansatz aller außenstehenden Aktionäre könnte sich zudem auch der Druck auf die Bieter erhöhen, von vornherein angemessene Abfindungsangebote an alle Anteilseigner zu machen.