Auf den ersten Blick sieht die Bilanz beeindruckend aus. Um gut die Hälfte ist das Volumen von Fusionen und Übernahmen (M&A) in Deutschland im zu Ende gehenden Jahr auf 150,3 Mrd. $ nach oben geschnellt. Doch nur einige Handvoll Großtransaktionen hübschen das Bild auf, angeführt vom 15,8 Mrd. $ schweren Verkauf der Spedition Schenker an den dänischen Rivalen DSV und der Übernahme des Kunststoffkonzerns Covestro durch den arabischen Öl-Riesen Adnoc. Doch das "Grundrauschen" fehlt.
"Viele dieser Deals waren komplex und bereits lange in der Vorbereitung", sagt Christopher Droege von der Investmentbank Goldman Sachs, die die "League Tables" des Börsenbetreibers und Finanzdatenanbieters LSEG in Deutschland klar anführt. "2024 war ein M&A-Jahr, das besser war, als es sich anfühlt", erklärt Armin von Falkenhayn von der Bank of America (BofA). "Insgesamt wurden deutlich mehr Transaktionen vorbereitet, als am Ende über die Ziellinie kamen."
Das flaue Gefühl der Banker liegt vor allem daran, dass das M&A-Volumen mittelgroßer Transaktionen zwischen 1 und 3 Mrd. € geringer als in den Vorjahren ausgefallen ist. Finanzinvestoren kauften zwar fleißig zu. Nach LSEG-Daten gingen 2024 immerhin 40 % aller verkauften deutschen Unternehmen an Private Equity. Beim Weiterverkauf zögerten sie aber.
Zum einen hätten viele Investoren zwischen 2019 und 2021 teuer eingekauft, zum anderen sei der Ausstieg über einen Börsengang auch in diesem Jahr noch schwierig gewesen. Doch der sei vor allem für große Firmen aus den Private-Equity-Portfolien oft der Königsweg, sagt Goldman-Sachs-Banker Tibor Kossa. Am Markt für Eigenkapital-Transaktionen ging trotz steigender Kurse laut LSEG 2024 so wenig wie seit 22 Jahren nicht mehr.
Konzerne richten Blick über den Atlantik
Ein neuer US-Präsident, Finanzinvestoren unter Zugzwang und ein leichterer Zugang zu Krediten – Investmentbanker finden viele Gründe, warum in Deutschland im nächsten Jahr mehr Fusionen und Firmenübernahmen über die Bühne gehen dürften. Wer kann und das nötige Geld hat, hält in den USA nach Übernahmen Ausschau. Eine Konjunkturflaute in Deutschland, ein wirtschaftsfreundlicheres Umfeld jenseits des Atlantiks und drohende Zollschranken seien die M&A-Treiber. "Nach der Präsidentschaftswahl wird es umso wichtiger, vor Ort in den USA zu produzieren", sagt Marcus Schenck von der Investmentbank Lazard.
"Die Wachstumsschere zwischen Deutschland und den USA wird weiter aufgehen", sagt Goldman-Sachs-Banker Tibor Kossa voraus. Mit Donald Trump als neuem Präsidenten sei ein Wachstums- und Deregulierungsschub zu erwarten. "Das übt Handlungsdruck auf Europa aus." Weil die Börsen die Aussichten für die Wirtschaft bereits vorwegnehmen, sind Übernahmen in den USA für deutsche Unternehmen allerdings noch teurer geworden, wie Lukas Poensgen von der Bank of America einräumt. Trotzdem: "Für deutsche Unternehmen bleiben die USA das Zielland Nummer eins."
Dabei kommt den Schwergewichten im DAX zugute, dass sie 80 % ihres Geschäfts im Ausland machen und sich von der Konjunktur in Deutschland weitgehend abkoppeln können. Doch die schlechte Stimmung könne auch unangenehme Maßnahmen erleichtern, meint Rainer Langel, erfahrener Investmentbanker bei der australischen Bank Macquarie: "In schwierigen Zeiten können auch Großkonzerne Dinge anpacken, die nicht populär sind. Die Entflechtung von Konglomeraten wird an Tempo gewinnen, weil der Druck steigt." Tibor Kossa von Goldman Sachs pflichtet ihm bei: "Da ist schon sehr viel im Gang - bisher meist noch unter der Oberfläche."
Mit dem zu Ende gehenden Jahr 2024 waren die Banker nicht zufrieden, auch wenn das Volumen von Fusionen und Übernahmen mit deutscher Beteiligung nach LSEG-Daten um 51 % auf 150 Mrd. $ nach oben geschnellt ist. Das liegt aber vor allem daran, dass der Vorjahreswert der niedrigste seit 2010 war. "Der M&A-Markt in Deutschland ist seit 2022 auf einem Tiefpunkt angelangt – einen so langen Negativzyklus gab es in diesem Jahrtausend noch nie", sagt Langel. "Deutschland hat in den Augen internationaler Investoren an Ansehen verloren." Er wünscht sich eine "Agenda 2030" – analog zu Gerhard Schröders "Agenda 2010".
Hoffnung auf Finanzinvestoren
2025 setzen die Investmentbanker ihre Hoffnungen aber vor allem auf Finanzinvestoren. Als Käufer deutscher Unternehmen waren sie auch 2024 recht aktiv, mit dem Verkauf taten sie sich aber schwer. "Ich erwarte, dass das Interesse größer wird, sich von Unternehmen wieder zu trennen", sagt Lazard-Banker Schenck. "Die Portfolios werden im Schnitt immer älter." Bis 2021 hätten die Private-Equity-Firmen teuer eingekauft und wollten nun keine Verluste realisieren, erläutert Christopher Droege von Goldman Sachs. Vor allem der Weiterverkauf an den nächsten Investor sei schwierig. "Viele Werthebel, an denen Private Equity ansetzt, sind schon realisiert worden", sagt sein Kollege Kossa.
Doch irgendwann wollen die Investoren in die Private-Equity-Fonds ihr Geld zurück. Die Fonds laufen in der Regel zehn Jahre. Einige Private-Equity-Firmen versuchten die Zeit mit "Continuation-Fonds" zu überbrücken, in denen sie die Firmen länger parken konnten. Doch auch deren Laufzeit laufe vielfach 2025 ab, weiß Nicole Janssen, Partnerin der Anwaltskanzlei Sidley. Eine "Exit-Welle" könne die Folge sein. Fremdkapital sei jedenfalls seit einigen Monaten wieder leichter und günstiger aufzutreiben - wenn nicht von den Banken, dann von Kreditfonds, sind sich die Banker einig. "Sinkende Finanzierungskosten und stabilere Bewertungen erhöhen nun die Zuversicht", fasst Armin von Falkenhayn von der Bank of America zusammen.
Die größten Übernahmen
- Mit einem Volumen von 15,8 Mrd. $ ist der Verkauf der Spedition Schenker die größte Transaktion dieses Jahres. Die Deutsche Bahn hat dem dänischen Konkurrenten DSV den Zuschlag erteilt, der den Finanzinvestor CVC ausstach.
- Das Tauziehen um den Kunststoff-Konzern Covestro ist beendet. Nach mehr als eineinhalb Jahren Verhandlungen legte der Öl-Riese Adnoc aus Abu Dhabi ein konkretes Angebot über 62 € je Aktie vor, das Covestro mit 14,3 Mrd. $ bewertete. Bis Anfang Dezember sammelte Adnoc fast 70 % der Covestro-Anteile ein.
- Siemens stemmte mit der 9,9 Mrd. $ schweren Übernahme des US-Industriesoftware-Unternehmens Altair Engineering den zweitgrößten Deal der Firmengeschichte. Mit Altair will der Münchner Technologiekonzern vor allem das Angebot in der Automatisierungstechnik ausweiten.
- Lange liebäugelte der Schweizer Finanzinvestor Partners Group auch mit einem Börsengang für Techem, doch letztlich fand sich mit der US-Beteiligungsgesellschaft TPG doch noch ein Käufer, der 7,5 Mrd. $ für den Energiedienstleister aus Eschborn bei Frankfurt auf den Tisch legte. Für Techem ist TPG bereits der dritte Eigentümer aus der Private-Equity-Branche.
- Auf Platz fünf der League Tables gerutscht ist die 4,95 Mrd. $ schwere Übernahme des börsennotierten Hamburger Wind- und Solarparkbetreibers Encavis durch den US-Finanzinvestor KKR. Die Familie Viessmann tritt dabei als Co-Investor auf.
- Robert Bosch taucht in der Rangliste gleich zweimal auf – mit zwei Teilen einer Übernahme: Der Stuttgarter Konzern zahlt 8,1 Mrd. $ für das Heizungs-, Lüftungs- und Klimaanlagen-Geschäft des US-Gebäudetechnik-Konzerns Johnson Controls. Dazu gehört auch das Klimatechnik-Joint-Venture der Amerikaner mit der japanischen Hitachi. Die Japaner halten 40 % an der 2015 gegründeten Gemeinschaftsfirma, die allein mit 3,5 Mrd. $ bewertet wird.