ES: TUI legte im Dezember seine Geschäftszahlen für das Gesamtjahr 2019 (per Ende September) vor. Ihr Unternehmen litt deutlich unter dem Flugverbot für Boeings Mittelstreckenjet 737 MAX. Können Sie unseren Lesern die Probleme genauer skizzieren?
Die TUI hatte sich zum Ziel gesetzt, mit einer Flottenmodernisierung die emissionsärmsten Fluggesellschaften Europas zu betreiben und noch sparsamer, kosteneffizienter und umweltfreundlicher zu fliegen. 72 georderte Flugzeuge des Typs Boeing 737 MAX sollten die im Einsatz befindlichen Maschinen ersetzen. Bis zum Flugverbot Mitte März 2019 hatten wir 15 der neuen 737 MAX Maschinen im Einsatz. Um den Urlaub der Gäste und die Zuverlässigkeit zu gewährleisten, haben wir insbesondere die Hauptferienzeit im Sommer 2019 kurzfristig mit Ersatzkapazitäten absichern müssen. Die Beschaffungskosten sowie Zusatzkosten, die durch das Grounding entstanden sind, beliefen sich für das Geschäftsjahr 2019 auf 293 Mio. €. Ohne diese Belastung hätte das Ergebnis auf dem Rekordwert des Vorjahres gelegen.
ES: Der Überschuss brach um rd. 43 % auf 416 Mio. € ein. Ist dies ausschließlich der Boeing-Misere geschuldet?
Ja. Wie eingangs erwähnt hätte das Ergebnis ohne die Kosten aufgrund des Flugverbots das Rekordniveau des Vorjahres erreicht. Wir hatten zwar einige Herausforderungen zu meistern insbesondere im Bereich der Reiseveranstalter, die sich in einem schwierigen Markt- und Wettbewerbsumfeld befanden wegen der Unsicherheit durch den Brexit, die Überkapazitäten im europäischen Flugmarkt und durch ein verändertes Buchungsverhalten bei den traditionellen Veranstalterreisen. Trotzdem hat sich das operative Geschäft sehr gut entwickelt. Unser Kerngeschäft Hotels, Kreuzfahrten und Aktivitäten in den Destinationen ist hochprofitabel.
ES: TUI rechnet auch für das aktuelle Geschäftsjahr mit Belastungen. Wie hoch sind diese?
Das weiterhin bestehende Flugverbot für die 737 MAX wird sich auch im aktuellen Geschäftsjahr auswirken: Unsere Guidance für den Ergebniskorridor im Gesamtjahr 2020 enthält Kosten in Höhe von etwa 130 Mio. € durch das Flugverbot für die 737 MAX. Dabei gehen wir davon aus, dass das Flugzeug bis Ende April 2020 wieder in Dienst gestellt werden kann. Hält das Flugverbot allerdings bis zum Ende des Geschäftsjahres an, müssen wir mit zusätzlichen Kosten in Höhe von ungefähr 220-270 Mio. € rechnen. Hierbei haben wir aber keine Entschädigungen von Boeing jeglicher Art berücksichtigt.
ES: TUI verhandelt mit Boeing bereits seit Monaten über einen finanziellen Ausgleich. Wie kommen die Gespräche voran und wie könnte der Ausgleich aussehen?
Ich bitte um Verständnis, dass wir uns dazu derzeit nicht öffentlich äußern. Wir sprechen mit Boeing direkt.
ES: Blenden wir einmal die Schwierigkeiten mit Boeing aus. Der Umsatz verbesserte sich um 2,5 % auf 18,9 Mrd. €. Welche Geschäftsbereiche erwiesen sich als Wachstumstreiber?
Wachstumstreiber ist unser Kerngeschäft. Wir sind Investor, Entwickler und Betreiber von Hotelgesellschaften und Kreuzfahrtunternehmen. Aktuell haben wir mehr als 400 eigene Hotels und 18 Kreuzfahrtschiffe. Gleichzeitig entwickeln wir das stark wachsende Geschäft mit Aktivitäten in den Urlaubsregionen zu einer dritten strategischen Säule. Die drei Bereiche stehen mittlerweile für mehr als 70 % unseres operativen Ergebnisses. Mit der Übernahme des italienischen Technologieunternehmens Musement bauen wir für die Aktivitäten in den Urlaubsorten jetzt einen globalen digitalen Marktplatz. Dies ist bereits der erste Schritt der nächsten Transformation der TUI zu einem Digitalunternehmen.
ES: Wie schätzen Sie Ihre Chancen und Risiken für die kommenden Monate ein?
Ich sehe vor allem viele Chancen, die Risiken sind weitgehend dieselben wie im Geschäftsjahr 2019. Unsere Wachstumsstrategie ist intakt, die Menschen wollen und werden weiter reisen. Strategisch und finanziell ist die TUI in einer starken Position und wir beschleunigen unsere Transformation zu einem Digital- und Plattformunternehmen. Wir sind in einer Position, um die Veränderungen im Markt aktiv mitzugestalten. Die TUI wird stärker, effizienter und profitabler aus der Konsolidierung der Branche hervorgehen.
ES: Die Pleite ihres Wettbewerbers Thomas Cook hat für einen großen Umschwung in der Branche gesorgt. Viele Anleger hatten große Hoffnungen, dass sich dies positiv auf das Geschäft von TUI auswirkt. Wie sieht es hier aus?
Im britischen Markt planen wir etwa ein Drittel der frei gewordenen Kapazitäten zu übernehmen. Potenzial sehen wir auch in Deutschland, den Niederlanden und in Belgien. Wir sind außerdem direkt auf Hoteliers in den Urlaubsregionen zugegangen, die Verträge mit Thomas Cook hatten und haben diese für die TUI gewinnen können.
ES: Die Thomas Cook-Tochter Condor sucht derzeit einen neuen Eigentümer. Würde die Airline nicht gut zu Ihrer Tochter TUIfly passen?
Wir haben mit TUIfly eine sehr angesehene eigene Fluglinie in Deutschland. Insgesamt hat der TUI Konzern 150 Flugzeuge. Condor ist eine etablierte Marke im deutschen Flugmarkt und ein wichtiger Partner für viele Touristikunternehmen. Als Marktführer analysieren wir die Entwicklung selbstverständlich sehr genau.
ES: Ihre Aktionäre müssen sich in Zukunft mit einer geringeren Dividende zufriedengeben. Können Sie uns die Hintergründe für die Änderung Ihrer Dividendenpolitik nennen?
Mit unserer neuen Dividendenpolitik schütten wir 30 bis 40 % des bereinigten Nachsteuerergebnisses nach Minderheiten auf Basis konstanter Wechselkurse aus, mindestens aber 0,35 €. Dadurch schaffen wir die Möglichkeit in die nächste große Transformation der TUI zu investieren. Wir waren ein Händler von Reisen, sind jetzt ein Produkt-unternehmen mit Hotels, Kreuzfahrtschiffen und Aktivitäten und in den kommenden Jahren wollen wir den Konzern zu einem Digitalunternehmen umbauen. Allein im Geschäftsjahr 2020 investieren wir einen zweistelligen Millionenbetrag in die Digitalisierung. Ich denke, wir haben eine sehr gute Balance gefunden aus notwendigen Investitionen in die Zukunft der TUI und einer soliden und robusten Finanzstruktur, während wir ein verlässliches und attraktives Investment für unsere Aktionäre bleiben.
ES: Sehr geehrte Frau Conix, vielen Dank für das Gespräch.