Die zuletzt ins Stocken geratene Welle von Börsengängen dürfte nach Einschätzung von Experten im kommenden Jahr in Deutschland wieder in Fahrt kommen. "In einem volatilen Kapitalmarktumfeld steigen die Anforderungen der Investoren", sagte Jens Hecht, Vorstand der Hamburger Beratungsgesellschaft Kirchhoff Consult. "Die IPO-Pipeline ist aber prall gefüllt mit vielen sehr aussichtsreichen Unternehmen. Wir rechnen daher mit mindestens 15 Börsengängen im Jahr 2022."
Im zu Ende gehenden Jahr haben allein zwölf Unternehmen mit Emissionen im streng regulierten Prime Standard der Deutschen Börse 8,6 Mrd. € eingesammelt; mehr waren es in den vergangenen zehn Jahren nur 2018, als 16 Börsenneulinge 11,6 Milliarden Euro erlösten. Einschließlich der beiden Börsengänge im Wachstumssegment "Scale" und der vier leeren Unternehmenshüllen (SPAC) summierte sich das Emissionsvolumen in diesem Jahr auf rund 9,7 Mrd. €.
Zu den Kandidaten für kommendes Jahr zählen das Greifswalder Pharmaunternehmen Cheplapharm, der Prothesenhersteller Ottobock, die Axel-Springer-Tochter Stepstone, die mehrheitlich zu ProSiebenSat.1gehörende Partnerschaftsbörse ParshipMeet und die ThyssenKrupp-Tochter Uhde Chloride Engineers. Insgesamt sollen es rund 100 Unternehmen geben, die Börsenpläne hegten oder konkrete Vorbereitungen träfen. Auch Investmentbanker gehen von rund einem Dutzend Börsengängen 2022 aus.
Als "Eisbrecher" könnte diesmal Cheplapharm fungieren. So soll das auf patentfreie Arzneimittel spezialisierte Unternehmen seine Erstnotiz für Ende Januar oder Anfang Februar planen. Dabei könnte Cheplapharm mit mehr als zehn Mrd. € bewertet werden, hieß es in dem Bericht unter Berufung auf Finanzkreise. Das Unternehmen wolle primär frische Mittel aufnehmen, um weitere Zukäufe zu finanzieren. Die Familieneigentümer Sebastian Braun und Bianca Juha wollten auch nach dem Börsengang mindestens 75 % der Anteile behalten. Bisher hat Cheplapharm das Wachstum vornehmlich über Anleihen finanziert.
Im Herbst war der Emissionsboom abrupt unterbrochen worden. Die angekündigten Börsengänge der Sprachlern-App Babbel und des Speziallogistik-Unternehmens Trans-o-flex scheiterten. Dazu habe auch die schwache Kursentwicklung vieler Börsenneulinge aus dem ersten Halbjahr beigetragen. Nur vier der zwölf Neulinge im Prime Standard legten der Studie zufolge bis Ende November zu, am stärksten mit gut 25 Prozent der Münchner Labor-Betreiber Synlab. Dagegen rutschten die Aktien des Berliner Gebrauchtwagenhändlers Auto1 und des Online-Optikers Mister Spex um mehr als die Hälfte ab.