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@ Khanchit Khirisutchalual

Grundsteuerrenovierung

Bürger übernehmen die Arbeit der Finanzverwaltung

Weil das Bundesverfassungsgericht die bisherige Methode zur Bemessung der Grundsteuer für verfassungswidrig erklärte, müssen 36 Mio. Immobilien und Grundstücke in Deutschland neu bewertet werden und ihre Besitzer bis zum 31. Oktober 2022 eine neue Erklärung mit allen Daten einreichen – und zwar digital.

 

Inzwischen haben viele Eigentümer von Grundstücken, Eigentumswohnungen und Immobilien das Schreiben vom Finanzamt erhalten und sich schon mehr oder weniger mit dem Erfassungsbogen für die neue Grundsteuererklärung beschäftigt. Diese ist lt. Bundesfinanzministerium „verpflichtend elektronisch“ im Internet auf dem Steuerportal ELSTER abzugeben. Dafür ist eine Registrierung erforderlich.

Um dies vorweg klarzustellen: Grundsätzlich war eine Reform zur Berechnung der Grundsteuer längst überfällig, denn die Bemessung nach Einheitswerten ist uralt und stammt in Westdeutschland von 1964, in Ostdeutschland sogar von 1935. Sie konnte damit die Wertentwicklung schon lange nicht mehr korrekt abbilden. Und dass Eigentum verpflichtet, ist auch unbestritten. Dass aber Eigentümer unter Androhung von Strafen die Arbeit der Finanzverwaltung in Eigenleistung übernehmen müssen, ist frech. Denn nicht der Bürger, sondern die Politik wurde vom Bundesverfassungsgericht zur Renovierung der Grundsteuer verdonnert. Doch die macht es sich leicht und wälzt die Umsetzung auf die Bürger ab – dabei nicht einmal einheitlich. Während elf Bundesländer dem Vorschlag der Bundesregierung folgen, machen Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen und Niedersachsen ihr eigenes Ding.

„In einem allerdings waren sich offenbar alle Bundesländer einig: nämlich den Steuerzahler als unbezahlten digitalen Finanzbeamten zu missbrauchen, und das in einem Land, das in Europa als das digitalpolitische Albanien gilt.“ (Uli Wittstock, MDR)

Weil also die Finanzverwaltung die Digitalisierung verschlafen hat und für eine Neuberechnung der Grundsteuer nicht auf alle notwendigen Daten elektronisch zugreifen kann, muss nun jeder Grundsteuerpflichtige seine Daten selbst digital erfassen und an das zuständige Finanzamt senden. Dafür bleiben ihm gerade noch drei Monate, während die Behörden bis Ende 2024 Zeit haben, daraus die neue Grundsteuer zu berechnen. Denn diese wird erst ab dem Jahr 2025 fällig. Trotzdem sind in der Finanzverwaltung bundesweit für die Bearbeitung hunderte Stellen zusätzlich ausgeschrieben worden. Allein NRW will 150 Aushilfskräfte für die Hotline-Besetzung sowie zur Datenerfassung einstellen. Bewerben kann sich jeder – ob Gärtner, Industriekaufmann oder Notargehilfe.

Diese Möglichkeiten haben die Steuerpflichtigen nicht, sie sind zunächst auf sich gestellt und müssen sehen, wie sie ihre Grundsteuererklärung bis zum 31. Oktober hinkriegen, denn bisher will der Gesetzgeber von einer Fristverlängerung nichts wissen. Im Gegenteil, bei Verzug drohen den Bürgern empfindliche Strafen. Aus diesem Grund hatten viele versucht, das Thema möglichst schnell abzuhaken und sich direkt schon ab dem 1. Juli bei ELSTER anzumelden, woraufhin das System zusammenbrach und die Seite zeitweise nicht mehr erreichbar war. Dabei ist schon die Anmeldung eine Herausforderung. Es werden zwei Wege dafür angeboten: die Anmeldung per Zertifikatsdatei oder der sog. Komfortzugang mit Personalausweis. Dafür braucht man aber die digitale Ausweisfunktion des Personalausweises sowie die kostenlose App „AusweisApp2“.

„Am Elster-Chaos lassen sich die Probleme unseres Staates exemplarisch ablesen. Ausgerechnet jetzt verlangt der Staat die Daten, die ihm selbst vorliegen, und das mit einem untauglichen Instrument in zu kurzer Frist.“ (Gitta Connemann, Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion)

Wer diese Hürde genommen hat, darf sich nun durch einen Dschungel von unverständlichen Fachbegriffen und Eingabemasken quälen und merkt erst jetzt, welche Unterlagen er tatsächlich braucht. Das geforderte Aktenzeichen ist noch auf dem Grundsteuerbescheid sowie im Informationsschreiben des Finanzamts selbst vermerkt. Die Wohnadresse, Grundstücksart sowie Baujahr und Angaben zu einer evtl. Kernsanierung stellen vermutlich auch noch kein Problem dar. Schwieriger wird es dagegen schon beim Bodenrichtwert oder der Angabe zur Brutto- und Nettowohnfläche sowie bei diversen Grundbuchinformationen (u.a. Flurstück, Grundbuchblatt und Gemarkung). Dies sind Angaben, die man nicht mal so eben zur Hand hat und meist auch gar nicht weiß, wo sie zu finden sind. Dafür ist nun eine Recherche in den alten Bau- oder Kaufunterlagen, im Grundbuchauszug sowie auf diversen Wohneigentum-Portalen des jeweiligen Bundeslandes notwendig. Da sich die Angaben auf den Stichtag 1. Januar 2022 beziehen, müssen auch Eigentümer die Erklärung ausfüllen, wenn sie danach im Laufe des Jahres ihre Immobilie veräußert haben. Der neue Besitzer muss dies aber groteskerweise auch tun.

Optimistisch geschätzt, braucht man etwa eine Stunde zum Ausfüllen der Unterlagen. Bei 36 Mio. Objekten spart der Bund also 36 Mio. Verwaltungsstunden, die er einfach auf seine Bürger umlegt. Der wird nicht nur als „digitaler Finanzbeamter“ missbraucht, muss Daten erfassen und weiterleiten, die den Behörden längst vorliegen, sondern darf dafür auch noch Steuern zahlen.